
In Feuerbach gibt es eine chinesische Schule – und das schon seit 13 Jahren
Stuttgarter Zeitung , Donnerstag, 27. Marz 2008
Wo aus Thomas „Tong Meng“ wird
In Feuerbach gibt es eine chinesische Schule – und das schon seit 13 Jahren
Im Kung-Fu-Training legen sich Madchen und Jungen ins Zeug. Ruhiger geht es zu beim Malen
chinesischer Schriftzeichen (links) mit dem Lehrer Cang Zhao (rechts). Fotos Michael Steinert
Samstags verwandelt sich das Neue Gymnasium Feuerbach in eine der exotischsten
Schulen der Stadt. Dann zieht nämlich die Chinesische Schule ein, in der Kalligrafie und chinesische Sprache gelehrt wird – jenseits aller Weltpolitik.
Von Jan Georg Plavec
Am Anfang sei es ein bisschen, als wolle man trotz erwiesener Unsportlichkeit Sport treiben, erklärt Thomas Hartmann seine ersten Gehversuche in der chinesischen Sprache:
„Nach einer Viertelstunde war ich total fertig.“
So oder so ähnlich muss man sich die ersten Tage und Wochen in der Chinesischen
Schule in Feuerbach vorstellen, wenn man zwar „Ni Hau“ („Hallo“) sagen kann, sonst
aber nichts, und Chinesisch lernen möchte.
Der Schüler Hartmann, Mittdreißiger mit bayerischem Einschlag (im Deutschen), hat
sich aber durchgebissen. Jetzt spielt er Memory mit zwei Kursteilnehmern, die wie er
seit zwei Jahren jene Sprache lernen, die weltweit die meisten Menschen sprechen,
hierzulande aber nur wenige. Noch. Denn beim Aufdecken der Kärtchen zeigt sich, dass man auch als Deutscher ganz gut Chinesisch lernen kann: Hartmann unterhält sich fast fließend mit seinen Mitspielern.
Chinesische Sprache, schwere Sprache?
„Chinesische Sprache, fremde Sprache“, sagt Fang-An Hu-Kuo, die Leiterin der Chinesischen Schule Stuttgart, an der seit vier Jahren samstags im Neuen Gymnasium Feuerbach chinesische Sprache und Kultur unterrichtet werden. Die erste Lernphase sei die schwierigste.
Man müsse verstehen, dass Chinesen mit dem ganzen Körper sprechen, nicht wie
Europäer „höchstens bis zum Brustkorb“.
Dann die Lautbildung: im Deutschen erfolgt sie im Hals, im Chinesischen mit der Zunge.
Das ist kompliziert und dauert meist ein Vierteljahr, in denen die wenigen gelernten
Vokabeln immer und immer wiederholt werden müssen. „Diese Zeit muss man aushalten“, sagt die Lehrerin.
Gegründet wurde die Chinesische Schule 1995. Sie ging aus einem taiwanchinesischen Frauenverein hervor: Die in Deutschland aufwachsenden
Kinder der Chinesinnen sollten ihre Muttersprache lernen. Bald wollten die
oft deutschen Väter ebenfalls Unterricht. Nach und nach warben sie Bekannte, die
wiederum ihre Kinder mitbrachten und so weiter. Heute unterrichtet die Chinesische
Schule über 160 Schüler zwischen 3 und 80 Jahren in 14 Kursen. Da sitzen Deutsche
neben Chinesen und lernen neben chinesischer Kultur – Kalligrafie, Tuschmalerei –
Sprechen und Schreiben, Letzteres sowohl mit (taiwanesischen) Langzeichen als auch
(maoistischen) Kurzzeichen. Auch Festlandchinesen seien willkommen, beteuert Leiterin Hu-Kuo: „Hier ist keine Politik.“
Vielmehr sei die Chinesische Schule ein Treffpunkt der Kulturen, und einer der Auslandschinesen; bei dem Gedanken daran strahlt die Leiterin. Eine kleine Bibliothek hat sie aufgebaut; ab und an gibt es Vorträge, oder man kommt zum Teetrinken. „Hier ist ein Platz für Heimweh“, so Hu-Kuo, die selbst vor 16 Jahren nach Deutschland kam, Wortschatz damals: „Hallo“ und „Danke“. Heute berichtet sie in fließendem Deutsch und mit einem Lächeln auf den Lippen, dass die Stuttgarter Chinesen „nicht nur Besucher sind. Wir wollen hier Wurzeln schlagen“.
Thomas Hartmann und seine Mitschüler haben das Memoryspiel inzwischen gelöst:
ein weiterer Lernerfolg für „Tong Meng“. In der Chinesischen Schule gibt sich jeder einen chinesischen Namen; „Tong Meng“ heißt so viel wie „gemeinsam Lernen“ und klingt ähnlich witzig wie die Adaptionen der Markennamen von Mercedes Benz („Bön-tsche“) oder Siemens („Schie-mens“).
Im Nebenzimmer üben derweil die Zweitsemester noch deutlich angestrengter. Natalia ist Klassenbeste. Das Sprachentalent kann Englisch, Französisch, Latein, Japanisch, Russisch und natürlich Deutsch. Und Chinesisch. „Ich will nach China ziehen und dort arbeiten“,erzählt die Zehntklässlerin, die nach sechs Monaten Unterricht schon kürzere Phrasen übersetzen kann und anscheinend eine ziemlich gute Aussprache hatIhrem Sitznachbarn Felix, der seinem fernöstlichen Aussehen nach viel leichter mit Chinesisch zurechtkommen müsste, hilft sie gern: Die Tafel ist voller Schriftzeichen, das Lehrbuch fordert Einsetzübungen. Gemeinsam mit dem Lehrer grübeln die Schüler über die Aussprache der komplizierten Chiffren.
Der Erfolg gibt der Schule recht. Chinesisch ist die Weltsprache mit Zukunft, die
Schule wächst, und Hu-Kuo sucht weitere Lehrkräfte. Möchte sie irgendwann ein eigenes Schulhaus? „Es wäre ein Traum“, lächelt Hu-Kuo. Dann aber schaut sie sich in ihrem improvisierten Büro im Lateinzimmer um und sagt, als meine sie auch Stuttgart als Ganzes: „Eigentlich ist es ganz gut hier.“